Störlichtbogen-Schutz: Wenn Routine zur Gefahr wird

Ein Moment der Routine, ein kleiner Fehler und schon entsteht ein gefährlicher Störlichtbogen. Gerade bei alltäglichen Arbeiten lauern grosse Gefahren. Nur wer die Risiken kennt, Schutzmassnahmen trifft und Sicherheitsregeln strikt beachtet, arbeitet wirklich sicher.

Störlichtbogen
Quelle: Dehn SE

Elektrofachkräfte kennen die Situation: Ein schneller Tausch einer elektrischen Komponente in einer nicht ortsveränderlichen Anlage, etwa einer Steckdose in einem Bürogebäude. Der Stromkreis wird nicht abgeschaltet, um den Büroablauf nicht zu stören. Ein kleiner Knall, ein Lichtblitz – und plötzlich ist es dunkel im Büro. Für den Elektriker ist in diesem Fall alles gut ausgegangen. Doch was war der Grund?

Spannungs- und Stromverhältnisse in Endstromkreisen

In Bürogebäuden und vergleichbaren Installationen liegt an Steckdosen und Leuchten meist nur eine einphasige Netzspannung von 230 V (50 Hz) an. Der zu erwartende Kurzschlussstrom ist hier relativ gering – häufig unter 1 kA. Dennoch kann es auch hier bereits zu einem Störlichtbogen kommen, auch wenn er mit geringen Auswirkungen verbunden ist. Das äussert sich in diesem Fall als kleiner Lichtblitz. Man spricht von einem sogenannten Querlichtbogen, da er zwischen zwei verschiedenen Potentialen entsteht, z. B. zwischen Phase und Neutralleiter oder Erde.

Es gibt aber auch andere Lichtbögen. Serielle Lichtbögen entstehen in einem stromführenden Leiter in Reihe mit dem Verbraucher, meist durch einen Kontaktfehler (z. B. beschädigte Ader, lockere Klemme). Das kann ein an einer Steckdose angeschlossener Verbraucher sein oder aber auch innerhalb der nicht ortsveränderlichen elektrischen Anlage oder Installation. In diesem Zusammenhang nimmt man häufig das Thema AFDD (Arc Fault Detection Device) oder Brandschutzschalter wahr.

Parallele Lichtbögen entstehen zwischen zwei Leitern (Phase zu Neutralleiter oder PE), häufig durch Isolationsfehler oder Unterschreitung der Isolationsstrecke wie z.B. ein Überbrücken der Leiter durch einen leitfähigen Gegenstand. Das wäre z.B. der Schraubenzieher bei dem anfangs beschriebenen Fall des Steckdosenaustauschs.

Störlichtbögen sind ungewollte Lichtbögen, die durch einen Fehlerzustand ausgelöst werden und nicht kontrolliert stattfinden. Sie können zu Bränden oder elektrischen Gefährdungen führen, insbesondere bei nicht unterbrochenem Stromfluss.

Je näher man sich bei der Arbeit an der elektrischen Anlage an der Energieeinspeisung befindet, desto höher ist der mögliche Kurzschlussstrom. In grossen Gebäuden, Rechenzentren oder Industrieanlagen können Kurzschlussströme mehrere Zehntausend Ampere betragen. In diesen Bereichen ist das Arbeiten an oder in der Nähe von spannungsführenden Teilen besonders gefährlich. Vermeintliche Routine kann hier schwerwiegende Folgen haben. Ein guter Grund, die fünf Sicherheitsregeln der Elektrotechnik konsequent anzuwenden.

Sicherheitsregeln
Sicher arbeiten an der elektrischen Anlage gemäss den fünf Sicherheitsregeln.
Quelle: Dehn SE

Nur wenn alle fünf Schritte erfüllt sind, und das in der vorgegebenen Reihenfolge, ist das Arbeiten an der elektrischen Anlage sicher. Sollte ein Schritt nicht durchführbar sein, kann man von einem Arbeiten unter Spannung ausgehen. In diesem Fall gelten andere Bedingungen, die strikt einzuhalten sind.

Nicht nur Wartungsarbeiten, auch das Bedienen von Schaltanlagen birgt Risiken. Bei grossen Schaltanlagen der Niederspannung (IEC 61439-2 / SN EN 61439-2) ist ein Störlichtbogenschutz nicht verpflichtend. Denn bei Normalbetrieb und ordnungsgemässem Zustand wird davon ausgegangen, dass kein Störlichtbogen entstehen kann.

Doch was passiert bei Erstinbetriebnahmen, Umbauten oder erneutem Inbetriebnehmen nach der Wartung? Störlichtbögen, die beispielsweise durch lose Schrauben, Verschmutzungen oder Montage- oder Bedienfehler verursacht werden, können Menschen und Anlagen erheblich gefährden.

Normen und Massnahmen für den Störlichtbogenschutz

Der Schutz vor Störlichtbögen bei Schaltanlagen nach IEC 61439-2 / SN EN 61439-2 kann durch Zusatzanforderungen nach IEC TR 61641 umgesetzt werden. Dieser technische Bericht beschreibt, wie Schaltanlagen für personensicheren Betrieb bei einem Störlichtbogen geprüft und gebaut werden können. Die Prüfung erfolgt im geschlossenen Zustand. Öffnet man die Türen (z. B. für Messungen), ist dieser Schutz möglicherweise nicht mehr gegeben.

Folgende Schutzmassnahmen erhöhen die Sicherheit bei Störlichtbögen:

  • Energiebegrenzung durch schnelle Abschaltung
  • Strombegrenzende Schutzorgane, wie Sicherungen oder Leistungsschalter
  • Druckentlastungseinrichtungen
  • Verstärkte Gehäusekonstruktion
  • Lichtbogenerkennungssysteme
  • Mechanische Verriegelungen
  • Isolieren von spannungsführenden Teilen, wie Hauptsammelschienen, Verteilschienen und deren Verbindungsschienen

Diese Massnahmen werden anhand der Kriterien der IEC TR 61641 geprüft und klassifiziert.

Störlichtbogenschutzsystem
Dauerhaften Schutz bieten aktive Störlichtbogenschutzsysteme. Dazu gehört unter anderem ein Löschgerät.
Quelle: Dehn SE

Bewertung der Gefährdung / Risikobewertung

Um das Risiko eines Störlichtbogens zu bewerten, muss eine Gefährdungsanalyse durchgeführt werden. Dies erfolgt in der Schweiz nach der ESTI-Weisung 407 und in Deutschland nach der DGUV-Information 203-077. Internationale Vorgaben beschreiben die Normen IEEE 1584 und NFPA 70E. Sie ermöglichen die Berechnung der Lichtbogen- bzw. der Einwirkenergie und helfen, die erforderliche persönliche Schutzausrüstung (PSA) auszuwählen.

Doch die persönliche Schutzausrüstung ist nur die letzte Barriere. Nach dem in der Schweiz angewandten S-T-O-P-Prinzip (Substitution (Ersatz)-Technisch – Organisatorisch – Persönlich) sind technische Massnahmen stets zu bevorzugen. Die gleiche Sichtweise beschreibt die Hierarchy of Controls auf internationaler Ebene.

Technische Schutzmassnahmen gegen Störlichtbögen

Wartungsmodus:

Aktuelle Leistungsschalter vieler Hersteller können mit einem Wartungsmodus (Maintenance Mode) ausgestattet werden. Dabei wird der Auslöser empfindlicher eingestellt (z.B. niedrigerer Auslösestrom, keine Verzögerung, kürzere Auslösezeit), wodurch auch die Lichtbogenenergie im Fehlerfall reduziert wird. Diese Funktion ist jedoch manuell zu aktivieren (auch über externen Schaltkontakt) und nur temporär wirksam.

Aktive Störlichtbogenschutzsysteme:

Dauerhaften Schutz bieten aktive Störlichtbogenschutzsysteme. Diese bestehen in der Regel aus:

  • Lichtsensoren (erkennen den Lichtbogen)
  • Stromsensoren (erkennen den Kurzschluss)
  • Steuergeräten (analysieren und bewerten die Signale)
  • Löschgerät (meist Kurzschlussmechanismus), um den Lichtbogen in 2 - 4  ms zu löschen

Die daraus resultierende extrem kurze Lichtbogendauer schützt Personen effektiv und begrenzt Schäden an der Anlage. Wiederherstellungszeiten werden so verkürzt.

Es gibt kein «Patentrezept», um sich gegen die Auswirkungen eines Störlichtbogens zu schützen. Vielmehr ist eine strukturierte Vorgehensweise auf Grundlage einer Gefährdungsanalyse und einer Schutzzielbeschreibung sowie daraus abgeleitet eine Kombination aus den unterschiedlichen Massnahmen notwendig. Ein Zusammenspiel aus «Teilisolierung», strombegrenzenden Schutzorganen, aktivem Störlichtbogenschutzsystem und dem «Wartungsmodus» kann eine zielführende Lösung zum Störlichtbogenschutz sein.

Spannungswarner
Passiert bei der Anwendung der fünf Sicherheitsregeln ein Fehler, z. B. das Vergessen, die Spannungsfreiheit festzustellen, kann ein persönlicher Spannungswarner helfen.
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Störlichtbögen in der Mittel- und Hochspannung

In der Mittelspannung (1 - 36 kV) oder Hochspannung kann bereits der Annäherungsvorgang einen Lichtbogenüberschlag durch die Luft auslösen. Es bedarf also nicht zwingend eines metallischen Kurzschlusses. Elektrische Felder, leitfähige Luft und das Unterschreiten der Isolationsstrecke reichen aus.

Moderne Schaltanlagen der Mittelspannung sind heutzutage gekapselt und so grundsätzlich nicht gefährlich. Bei alten Schaltanlagen, die teilweise noch in offener Bauweise hergestellt wurden, kann z.B. ein Öffnen der Tür und «unbewusstes» Annähern an spannungsführende Teile gefährlich werden. Das gilt auch bei Tätigkeiten an Freileitungen.

Die Folgen eines Lichtbogens wie thermische Verbrennungen, Druckwellen, Licht- und Schallemissionen und tödliche Stromdurchflüsse sind für involvierte Personen gravierend. Sie sind dann auch «Teil des Stromkreises». Die Einhaltung der Sicherheitsabstände und das konsequente Arbeiten nach den fünf Sicherheitsregeln sind hier lebenswichtig.

Zusätzliche Sicherheitshilfen / Spannungswarner

Passiert bei der Anwendung der fünf Sicherheitsregeln ein Fehler, z. B. das Vergessen, die Spannungsfreiheit festzustellen, kann ein persönlicher Spannungswarner helfen. Dieses tragbare Gerät erkennt elektrische Felder der Mittel- und Hochspannung und warnt die Person akustisch, haptisch durch Vibration oder visuell beim Betreten der Annäherungszone bis hin zum dauerhaften Alarmieren, beim Herantreten an die Gefahrenzone. Moderne Spannungswarner lassen sich einfach über smarte Telefone auf die jeweilige Anlagenkonfiguration einstellen. Durch die «Einparkhilfe für den Elektriker» können so tragische Fehler verhindert werden. Wichtig: Der Spannungswarner soll nicht die 3. Regel ersetzen, sondern nur unterstützen.

PSA
Die letzte Barriere zum Schutz ist die persönliche Schutzausrüstung gegen Störlichtbögen PSAgS.
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Persönliche Schutzausrüstungen gegen Störlichtbögen PSAgS

Die letzte Barriere zum Schutz gegen die Auswirkungen von Störlichtbögen ist die PSAgS. Eine Gefährdungsanalyse muss vor der Auswahl der PSA durchgeführt werden. Nur so kann ein ausreichender Schutz sichergestellt werden.

Die Auswahl der PSA hängt davon ab, ob diese den ganzen Tag getragen werden soll oder nur während der Tätigkeit im Gefährdungsbereich. Eventuell benötigt man eine PSA, die unterschiedliche Gefährdungen abdecken muss.

Für diesen Fall sind sogenannte «Multinorm»-PSA verfügbar, die zusätzliche Funktionen, wie z.B. erhöhte Sichtbarkeit bieten. Durch das Überziehen einer Standard-Warnweste über eine einfache PSAgS ist der Schutz gegen Störlichtbögen nicht mehr sichergestellt, da diese Weste möglicherweise bei einem Störlichtbogen brennt und nicht in der erforderlichen Zeit erlischt – also nachbrennt.

Fazit

Störlichtbögen stellen eine erhebliche Gefahr für Menschen, Anlagen und Betriebsabläufe dar. Routine und Leichtsinn können zu tragischen Konsequenzen führen, besonders bei höheren Spannungen oder energiereichen Netzen. Nur durch das Bewusstsein für die Gefährdung, die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung und das Setzen von Schutzzielen, die Umsetzung technischer und organisatorischer Massnahmen, den Einsatz geeigneter persönlicher Schutzausrüstung (PSA) sowie die Einhaltung der fünf Sicherheitsregeln kann sicher und verantwortungsvoll gearbeitet werden. Die Investition in Störlichtbogenschutzsysteme, regelmässige Schulungen und eine klare Gefährdungsbeurteilung schützt nicht nur Leben, sondern auch Betriebsvermögen.

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