Repair Café: Gelebte Nachhaltigkeit
Wer der Wegwerfgesellschaft etwas entgegenhalten oder ganz einfach Liebgewonnenes retten möchte, bringt seine defekten Gegenstände in eines der 200 Repair Cafés in der Schweiz. Denn hier wird alles repariert: Elektrogeräte, Spielzeug oder auch Fahrräder – insbesondere Fachleute aus dem Elektrobereich sind hier gern gesehene Spezialisten. Ein Erfahrungsbericht von Beat Schenk.
Repair Cafés sind nicht nur Reparaturwerkstätten einer etwas besonderen Art, sondern auch soziale Treffpunkte, die darauf abzielen, die Kultur und die Kunst des Reparierens zu fördern und ein Zeichen gegen die Verschwendung von Ressourcen zu setzen. Die Idee entstand im Jahr 2009 in den Niederlanden und verbreitete sich seither weltweit. Seit 2014 wird auch in der Schweiz fleissig ehrenamtlich repariert. Repair Cafés haben sich in allen vier Landesteilen als wichtige Anlaufstellen für Ratsuchende und als Quartiertreffpunkte etabliert.
Ich besuche das Repair Café in Frauenfeld an einem Samstagmorgen. Bereits um 9 Uhr ist hier einiges los. In einem leeren Ladenlokal stehen drei Tischreihen mit allerlei Werkzeug, Maschinen und Messgeräten bereit. Die Werkbänke sind mit Baufolie abgedeckt und jeder Platz verfügt über einen mobilen RCD. An einer Bar werden Kaffee und Kuchen angeboten. Daneben stehen Tische und Stühle, an denen sich die Besucherinnen und Besucher niederlassen können.
Grosse Expertenvielfalt
Bevor die Arbeit beginnt, stellen sich die anwesenden Reparateure einander gegenseitig vor. Wie bei den meisten Repair Cafés steht auch hinter jenem in Frauenfeld ein Verein. Die Mitglieder kommen beruflich vorwiegend aus dem Elektrobereich. Es sind Installateure, Servicetechniker, Elektroniker, aber auch Betriebselektriker und Energieberater sind dabei. Ebenfalls vertreten sind ein Spezialist für Löt- und Schweissarbeiten, zwei Näherinnen, ein Schreiner und mindestens zwei Mechaniker. Ein Buchbinder, der lange Zeit seine Dienste anbot, ist mittlerweile altershalber zurückgetreten. Die in diesem Raum versammelte Expertise ist so gross und vielfältig, dass sie gar nicht zu bezahlen wäre. Für fast jeden Bereich gibt es mindestens einen Experten oder eine Expertin. Repariert wird praktisch alles. Vor allem gefragt ist die Reparatur von Elektrogeräten, was für die meisten der anwesenden Elektroinstallateure und Montageelektriker eigentlich nicht zum Berufsalltag gehört. Wer noch nie in einem Repair Café tätig war, ist auf diesem Gebiet auch etwas unsicher, weil hier statt der wohlbekannten NIV die Geräteverordnung NEV gilt. Aber auch wenn einiges etwas ungewohnt ist, gelten zwei wohlbekannte eiserne Grundsätze: Elektrotechnik bleibt Elektrotechnik und es dürfen weder Personen noch Sachen durch den Gebrauch von elektrischen Geräten in Gefahr geraten.
Schrauben und prüfen
Wer einen Gegenstand zur Reparatur vorbeibringt, wird an einer Art Empfangstheke begrüsst und kann sein Anliegen schildern. Für jeden Gegenstand wird ein Laufblatt ausgefüllt und ein geeigneter Reparateur gesucht. Als Elektriker darf ich mich der Nachttischlampe einer älteren Dame annehmen. Das Problem ist auf dem Laufblatt gut verständlich geschildert: Die Lampe schaltet trotz Betätigung des Schalters nicht mehr ein. Wer möchte, darf den Reparateur mitsamt dem Reparaturgut zur Werkbank begleiten, was die allermeisten auch gern und interessiert tun. Wir suchen uns also einen freien Arbeitsplatz und beginnen mit der Reparatur. Da die nötigen Ersatzteile zur Verfügung stehen, ist der Kippschalter rasch ersetzt. An den Nachbartischen werden derweil Kaffee- und Nähmaschinen zerlegt, Elektronikbauteile ein- und ausgelötet und Isolationsfehler an einem Raclette-Grill gesucht. Nicht selten stammen die Geräte aus der Region. Die Bernina-Nähmaschine am Nachbartisch wurde im 15 km entfernten Steckborn zusammengebaut, die Jura Kaffeemaschine im 30 km entfernten Amriswil.
Nach einer erfolgreichen Reparatur wird jedes elektrische Gerät einer Geräteprüfung unterzogen. Hierbei wird ein eigens erstelltes Protokollformular ausgefüllt und die Prüfresultate werden gespeichert. Ein Repair Café kann zwar keine Garantie für die Reparatur gewähren, aber die Mitglieder sind über die Stiftung für Konsumentenschutz gegen allfällige Haftpflichtforderungen versichert. Eine gründliche Kontrolle, Erprobung und Messung der reparierten Geräte ist unabdingbar. Deshalb sollten ein Gerätetester und geschulte Prüfer zum Personal jedes Repair Cafés gehören. Hier in Frauenfeld läuft alles vorbildlich ab. Es steht ein professioneller Geräteprüfer zur Verfügung und die Prüfer haben einen Kurs für Geräteprüfung absolviert. Geprüft wird anhand der Schutzklassen, die auf den Typenschildern der Geräte ausgewiesen sind. An Geräten der Schutzklasse I werden in jedem Fall der Schutzleiterwiderstand und der Isolationswiderstand gemessen. Ausserdem werden der Schutzleiter-Ableitstrom und bei berührbaren, leitfähigen Teilen, die nicht mit dem Schutzleiter verbunden sind, auch der Berührungsstrom ermittelt. Bei Verlängerungskabeln, Steckleisten und Kabelrollen werden ebenfalls der Schutzleiterwiderstand und der Isolationswiderstand gemessen. Hinzu kommt hier die Prüfung der Polarität. Bei unserer Nachttischlampe handelt es sich um ein Gerät der Schutzklasse II, weshalb der Isolatonswiderstand sowie der Berührungsstrom gemessen werden.
Ehrenamtliche Arbeit
Nach erfolgter und bestandener Prüfung werden das Laufblatt mitsamt dem Geräteprüfprotokoll am Empfang abgegeben und das reparierte Gerät der zufriedenen Besitzerin überreicht. Die Reparaturen erfolgen ehrenamtlich und sind kostenlos. Lediglich Ersatzteile werden zu einem günstigen Preis abgegeben. Entstehende Unkosten und die Kosten der Jahresversammlung mit einem Nachtessen für alle Vereinsmitglieder werden aus der Trinkgeldkasse bestritten. Es werden auch Kurse organisiert, an denen interessierte Mitglieder das Reparieren bestimmter Geräte von Reparaturprofis und Tüftlern erlernen können. Auf diese Weise trägt nicht allein der stetige Austausch während der Veranstaltungen zur Verbesserung der Geschicke jedes Mitglieds bei, sondern auch Weiterbildungen unter Kolleginnen und Kollegen.
Nicht alles, was über die Schwelle des Repair Cafés getragen wird, kann repariert werden. Neben irreversiblen Schäden verunmöglicht oft das Fehlen von Ersatzteilen eine Reparatur. Auch sind viele neuere Geräte gar nicht reparierbar. Diesbezüglich könnte sich in den nächsten Jahren jedoch etwas ändern, denn von der zuständigen EU-Kommission sind deutliche Zeichen zu vernehmen, dass ein Recht auf die Reparierbarkeit von Elektrogeräten eingeführt werden soll.
Gemeinsam gegen Verschwendung
Repair Cafés sind weit mehr als Werkstätten für Reparaturen. Sie stehen symbolhaft auch für ein gemeinschaftliches Engagement, nachhaltiges Denken und für die Förderung einer Kultur des Reparierens. In der Schweiz tragen Orte wie die Repair Cafés dazu bei, Menschen für die Bedeutung und Möglichkeiten der Ressourcenschonung zu sensibilisieren und damit eine Entwicklung in Richtung einer nachhaltigeren Zukunft zu fördern.
Elektriker sind gern gesehene Mitglieder in Repair Cafés, wohl weil wir Elektriker nicht nur gut schrauben können, sondern weil wir obendrein auch noch gesellig sind. Die freundschaftliche Stimmung und der anregende Tüftlergeist vor Ort waren für mich auf jeden Fall Anstoss genug, um einen Anmeldetalon des Vereins Repair Café Frauenfeld auszufüllen.