Netzstabilität dank Speichern auf Rädern
Elektromobilität bietet viele Vorteile, aber auch Herausforderungen, die gemeistert werden müssen. So reduziert sie beispielsweise den Primärenergiebedarf, die CO₂-Emissionen und die Abhängigkeit von Erdöl im Mobilitätssektor. Gleichzeitig steigen jedoch die Anforderungen an das Stromnetz. Welche Chancen bietet die Elektromobilität, und wie kann sie effektiv genutzt werden?
Der Anteil der Steckerfahrzeuge bei Neuzulassungen steigt weltweit stark an: In Norwegen liegt dieser bei 94 Prozent, in China bei 51 Prozent und in der Schweiz bei knapp 30 Prozent (Stand Sommer 2024). Das bedeutet, die Schweiz hat noch Potenzial, um aufzuholen. Das Positive jedoch: Elektrofahrzeuge werden immer erschwinglicher, bieten mehr Reichweite und sind in einer grösseren Modellpalette erhältlich.
Netzdienliches Laden
Mit einer Ladeleistung von 11 kW kann ein batterieelektrisches Fahrzeug (BEV) seinen täglichen Energiebedarf in weniger als einer Stunde decken. Das Laden zu Spitzenzeiten führt jedoch zu Lastspitzen im Stromnetz. Daher ist es im Interesse der Netzbetreiber, diese Ladevorgänge auf Zeiten geringer Netzbelastung zu verschieben, etwa durch Drosselung zu Spitzenzeiten oder durch spezielle Stromtarife.
Ein wichtiges Puzzleteil zum netzdienlichen Laden wird zukünftig das bidirektionale Laden sein. Dieses ermöglicht es, Strom nicht nur in die Batterie, sondern von dort auch wieder zurückfliessen zu lassen. Der Akku des E-Autos kann so temporärer als Energiespeicher genutzt werden.
Bidirektionales Laden – eine Übersicht
Vehicle-to-Load (V2L): V2L ermöglicht es, gespeicherte Energie aus dem Fahrzeugakku über eine Steckdose zu nutzen, ähnlich einem kleinen Generator. Eine direkte Verbindung zum Stromnetz ist hierbei jedoch nicht möglich.
Vehicle-to-Home (V2H): V2H kann als Speicher für eine Fotovoltaikanlage oder zur Glättung von Lastspitzen am Hausanschluss dienen.
Vehicle-to-Grid (V2G): V2G ermöglicht das Laden und Entladen des Fahrzeugs in das öffentliche Stromnetz, entweder bei dynamischen Stromtarifen oder zur Erbringung von Netzdienstleistungen, etwa zur Bereitstellung von Regelenergie.
Die Technologie des bidirektionalen Ladens
Derzeit erfolgt bidirektionales Laden (V2H und V2G) über CHAdeMO- oder CCS-Anschlüsse. Die Ladestation übernimmt dabei die Umwandlung von Gleichstrom der Fahrzeugbatterie in Wechselstrom für das Stromnetz, ähnlich wie bei Hybridwechselrichtern in PV-Anlagen. Sie erfüllt die Netzanschlussnormen des Gridcodes NA-EEA NE7. In Zukunft soll bidirektionales Laden auch über den Typ-2-Anschluss möglich sein, wobei der Umrichter im Fahrzeug integriert ist. Das bidirektionale Laden kann dann mit einer Typ-2-Ladestation gemäss ISO 15118 erfolgen. Die Einführung einer entsprechenden Ladestation ist alsbald geplant. Aufgrund der zusätzlichen Ladezyklen setzen Fahrzeughersteller aber Rahmenbedingungen, um Garantien zu sichern. Zur Einhaltung lokaler Gridcodes beim AC-Laden (V2G) sind zudem spezielle Softwarelösungen erforderlich.
Praxisbeispiel Vehicel-to-Home (V2H)
In einem Einfamilienhaus in Muri AG wurde Anfang 2023 eine Fotovoltaikanlage mit 18,96 kWp und eine bidirektionale Ladestation installiert.
Die Sun2Wheel two-way-digital Ladestation mit 10 kW Leistung arbeitet bidirektional über den CHAdeMO-Anschluss. Gesteuert wird sie durch das Energiemanagementsystem (EMS) Solarmanager, das die Lade- und Entladevorgänge basierend auf den Anforderungen des Haushalts regelt. Die Besitzer des Hauses nutzen einen Nissan Leaf e+ mit 62 kWh Traktionsbatterie und definierten in der Solarmanager-App den Ladezustand zwischen 20 und 80 Prozent, um die Batterie zu schonen und eine ausreichende Reichweite sicherzustellen. Von Januar bis Anfang September 2024 erreichten die Hausbesitzer so einen Autarkiegrad von 76 Prozent. Ihr geplanter Tagesablauf als Rentner ermöglicht es ihnen, das Fahrzeug optimal zu nutzen und so nachhaltige Energiegewohnheiten zu fördern.
Pooling von V2G-fähigen Ladestationen
V2G-fähige Ladestationen können durch virtuelles Pooling an das Stromnetz angeschlossene Fahrzeuge innerhalb von Sekunden für die Bereitstellung von Primärregelenergie nutzen. Diese Technik hilft, das Netz zu stabilisieren, insbesondere wenn die Netzgesellschaft die Energieanforderungen stellt. Um die Mindestleistung von 1 MW zu erreichen, werden mehrere Ladestationen vernetzt und gleichzeitig angesteuert. Intelligente Laststeuerungen sind notwendig, um den Ausbau des Stromnetzes zu minimieren und Überlastungen zu verhindern. Das heisst, V2G stellt Netzbetreiber vor ähnliche Herausforderungen wie Fotovoltaikanlagen: Eine präzise Planung und Laststeuerung werden nötig.
Fazit
Die Elektromobilität bietet enorme Chancen, erneuerbare Energien besser in das Energiesystem zu integrieren. Durch Technologien wie Vehicle-to-Grid (V2G) und Vehicle-to-Home (V2H) werden Elektrofahrzeuge zu flexiblen Energiespeichern, die zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen können. Diese bidirektionalen Ladesysteme helfen, Lastspitzen zu glätten und überschüssige erneuerbare Energie effizient zu nutzen.
Trotz der technischen Herausforderungen und der notwendigen Anpassungen im Nutzerverhalten zeigt die Praxis, dass hohe Autarkiegrade und eine nachhaltigere Energieversorgung erreichbar sind. Mit der Weiterentwicklung der Technologien und gezielter Förderung kann die Elektromobilität zu einem wichtigen Baustein der Energiewende werden.
Dipl. Energie- und Umwelttechniker/innen HF sind Spezialisten in anspruchsvollen Energie- und Umweltfragen. Dabei übernehmen sie die Verantwortung für eine energieeffiziente und umweltgerechte Leistungserbringung. Sie bauen oder implementieren Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energieformen und der Umwelttechnologie. Zudem sind sie für den energieeffizienten, umweltgerechten Betrieb technischer Systeme verantwortlich – Energieeffizienz, nachhaltige Verfahren und Umweltaspekte stehen im Fokus ihrer Tätigkeit. Das Besondere an einem Studium an einer Höheren Fachschule ist, dass dieses ohne Berufsmatura absolviert werden kann. Vorausgesetzt werden ein EFZ und eine einschlägige Berufstätigkeit während des Studiums von mindestens 50 Prozent. Die Vernetzung zwischen den Lehrfächern sowie von Theorie und Praxis hat bei der ABB-Technikerschule einen sehr hohen Stellenwert. Die ABB-Technikerschule mit Standorten in Baden und Sursee ist eine öffentliche Bildungsinstitution in der Höheren Berufsbildung und bietet technisch ausgebildeten Berufsfachleuten berufsbegleitende Bildungsgänge, Nachdiplomstudien und zukunftsgerichtete Weiterbildungsformate an. Sie wurde 1971 gegründet, ist eidgenössisch anerkannt und nicht-profitorientiert.