Betriebsbedingte Ableitströme oder Fehlerströme?

Da Fehlerstrom-Schutzschalter (RCD) nicht zwischen betriebsbedingten Ableitströmen und Fehlerströmen unterscheiden können, kommt es bei zu hohen Ableitströmen zu unerwünschten Auslösungen. Abhilfe kann ein Analysesystem schaffen, welches solche Ströme sicher messen und interpretieren kann.

Ströme
Quelle: Demelectric

Betriebsbedingte Ableitströme sind unerwünschte Ströme in fehlerfreien Geräten, während Fehlerströme durch Isolationsfehler entstehen. Erstere können Fehlerstrom-Schutzschalter ungewollt auslösen. Doch wie unterscheiden sich die Fehlerströme von den betriebsbedingten Ableitströmen?

Betriebsbedingter Ableitstrom ist definitionsgemäss der Strom in einem unerwünschten Strompfad unter üblichen Bedingungen. Also der Strom, der in fehlerfreien Geräten oder Anlagen über den Schutzleiter (Abb. 1) oder andere leitfähige Teile zum Erdpotenzial fliesst. Fehlerströme sind hingegen überwiegend ohmsch und entstehen durch Isolationsfehler zwischen spannungsführenden Teilen und Erde, beispielsweise aufgrund von Schmutz und Feuchtigkeit in einem Gerät. Ein anderes Beispiel wäre ein Stromfluss zur Erde, wenn eine Person direkt einen aktiven Leiter des Netzes berührt (siehe Abb. 2).

Betriebsbedingte Ableitströme lassen sich hauptsächlich in zwei Kategorien einteilen:

Stationäre Ableitströme: Ein EMV-Filter besteht in seiner einfachsten Ausführung aus LC-Tiefpässen, deren Kondensatoren im Stern zum Schutzleiter geschaltet sind. Bei idealem Netz mit einer streng sinusförmigen Spannung ergibt die Summe aller kapazitiven Ströme durch diese Kondensatoren gleich null. Durch die mittlerweile starken Verzerrungen der Netzspannung resultiert in der Praxis aber ein kapazitiver Gesamtstrom ungleich null, der fortwährend über den Schutzleiter abfliesst. Dieser wird daher als stationärer Ableitstrom bezeichnet.

Variable Ableitströme: Wird der Motor durch einen Fre­quenzumrichter in seiner Drehzahl geregelt, so treten Frequenzanteile oberhalb von 1 kHz im Gesamtableitstrom auf. Besonders die Taktfrequenz des Frequenzumrichters (typische Werte: 2, 4, 8, 16 kHz) und die dazugehörigen Oberschwingungen tauchen mit sehr hohen Amplituden auf (Abb. 5). Eine lange Motorleitung mit geerdeter Abschirmung wirkt wie ein gegen Erde geschalteter Kondensator. Ströme mit entsprechender Frequenz und deren harmonische Oberschwingungen werden gegen Erde abgeleitet und als variable Ableitströme bezeichnet. Die Höhe dieser variablen Ableitströme ändert sich in Abhängigkeit der Motordrehzahl und der Motorlast.

Ableitstrom
Abbildung 1: Beispiel eines kapazitiven, betriebsbedingten Ableitstroms.
Quelle: Demelectric
Wechselfehler
Abbildung 2: Beispiel eines Wechselfehlerstroms.
Quelle: Demelectric

Wie wirken betriebsbedingte Ableitströme auf den Fehlerstrom-Schutzschalter?

In der Industrie und in der Gebäudetechnik kommen immer häufiger Fehlerstrom-Schutzschalter (RCD) mit normkonformen, aber trotzdem unterschiedlichen Auslöse-Charakteristiken zum Einsatz. Die modernen Komponenten in der Automatisierungstechnik (wie z. B. Frequenzumrichter, PV-Wechselrichter, EMV-Filter, Schaltnetzteile usw.) erzeugen systembedingt sowohl sehr hohe nieder-, als auch höherfrequente Ableitströme, welche über den Schutzleiter gegen Erde abfliessen. Diese betriebsbedingten Ableitströme werden von den RCD-Schutzschaltern unter Umständen als Fehlerstrom interpretiert, was häufig zu einem unsicheren Betriebszustand oder zur unerwünschten Abschaltung der Feh­lerstrom-Schutzeinrichtung führt. Die Differenzstrommes­sung im Fehlerstrom-Schutzschalter kann nicht zwischen den betriebsmässigen Ableitströmen und echten Fehlerströmen unterscheiden. Das ist auch der Grund, warum es in der Praxis häufig zu unerwünschten Auslösungen des Schutzschalters kommt, vor allem in der holzverarbeitenden Industrie sowie in der Landwirtschaft. Nachfolgendes Beispiel zeigt eine typische Situation in einer Schreinerei mit einer frequenzgesteuerten CNC-Anlage.

Typische Situation in einer feuergefährdeten Betriebsstätte

Abbildung 4 zeigt die typischen, betriebsbedingten Ableitströme einer frequenzgesteuerten CNC-Anlage in einer Schreinerei. Auf Grund der normativen Anforderungen muss die Anlage an einem Fehlerstrom-Schutzschalter Typ B angeschlossen werden. In diesem Beispiel ist die Anlage fest an einem Fehlerstrom-Schutzschalter Typ B NK 300 mA (Abb. 3) von Doepke angeschlossen. Auf Grund der betriebsbedingten Ableitströme kann die Anlage so jedoch nicht betrieben werden, da der RCD immer wieder unerwünscht auslöst.

Für die Messung der betriebsbedingten Ableitströme wurde das Mess- und Analysesystem Leakwatch von EPA GmbH entwickelt. Das Analysesystem wertet den Auslastungsgrad der ausgewählten Schutzeinrichtung aus und gibt diesen mit einem Prozentwert an. Es ermöglicht zudem eine Breitband-Frequenzanalyse sowie die Betrachtung der Effektivwerte einzelner Frequenzanteile. Somit stellt es eine wertvolle Hilfestellung bei der Ableitstrombilanzierung und der Auswahl geeigneter Reduktionsmassnahmen dar.

Kennlinie
Abbildung 3: Auslösekennlinien Fehlerstrom-Schutzschalter Typ B.
Quelle: Demelectric

Analyse der Anlage

Das Mess- und Analysesystem wurde in der Zuleitung direkt beim Schutzschalter angeschlossen. Abbildung 5 zeigt die Ist-Situation bei der CNC-Anlage in der Schreinerei. Die Anlage ist angeschlossen und in Betrieb. Die hochfrequenten Ableitströme sind Drehzahl-abhängig und verändern sich permanent. Dies ist in der Abbildung gut ersichtlich, blau sind die aktuellen Ableitströme und rot die gemessenen Spitzenwerte. Die Auslastung des für den Brandschutz empfohlenen Schutzschalters Doepke Typ B NK ist mit über 60 Prozent ausgelastet.

Lösung

Betriebsbedingte Ableitströme können durch verschiedene Massnahmen reduziert werden. Bei dieser CNC-Anlage sind die Ableitströme in den Taktfrequenzen (>2 kHz) zu hoch. Die Auslastung des Schutzschalters mit Brandschutz liegt bei über 60 Prozent, somit kann die Anlage ohne Massnahmen zur Reduktion der betriebsbedingten Ableitströme nicht über den Schutzschalter betrieben werden. Die hier auftretenden Ableitströme basieren auf einer langen, geschirmten Motorleitung sowie zu wenig Dämpfung im EMV-Filter (Nr. 5 in Abb. 3).

Befindet sich in der Maschine/Anlage noch kein oder ein unzureichender Filter, ist ein kombinierter EMV- und Ableitstromreduktionsfilter NF-KC-DAR eine sehr gute Möglichkeit, die EMV-Anforderungen mit gleichzeitiger Ableitstromreduktion im hochfrequenten Bereich zu erreichen. Der EMV-Filter ist optimal auf diese Anwendungen abgestimmt. Die Einhaltung der Grenzwerte für leitungsgebundene Störungen von 150 kHz bis 30 MHz nach EN 61800-3 Kategorie C2 oder EN 61000-6-4 (für industrielle Umgebung) ist bis zu einer 100 m langen Motorleitung möglich. Es entfaltet eine besonders gute, ableitstromreduzierende Wirkung vor allem bei den Taktfrequenzableitungen (üblicher Frequenzbereich 2 bis 20 kHz).

Messung
Quelle: Demelectric
Messung
Abbildung 4 Analysemessung als Entscheidungsgrundlage für ableitstromreduzierende Massnahmen.
Quelle: Demelectric

Alternative Lösung

Ein Schutzschalter darf bereits ab 50 Prozent Auslastung des Fehlerstroms auslösen. Bei einem RCD mit 300 mA Fehlerstrom ist das bereits ab 150 mA. Nimmt man die normative Anforderung hinzu, dass ein Schutzschalter nur dann als betriebssicher gilt, wenn die Vorbelastung kleiner als 40 Prozent ist, bleiben von den 300 mA Fehlerstrom noch 120 mA übrig, zudem ist der Schutzschalter Typ B jeweils «nur» 10 mS verzögert. Bei Anlagen mit hohen betriebsbedingten Ableitströmen genügt das häufig nicht und es kommt zu unerwünschten Auslösungen. Als Alternative zum Schutzschalter kann eine Differenzstromüberwachung eingesetzt werden. Dies ist vor allem bei Anlagen zu empfehlen, bei denen hohe Folgekosten infolge einer «unkontrollierten» Abschaltung, wie z.B. einer unerwünschten Auslösung des Schutzschalters, auftreten können.

Der grosse Vorteil einer Differenzstromüberwachung gegenüber einem Schutzschalter ist, dass die Alarmwerte auf mehreren Frequenzkanälen individuell auf die benötigten Schutzziele, wie zum Beispiel die Brandschutzanforderung von 300 mA, eingestellt werden können, inklusive einer Verzögerung von mehreren Sekunden.

Wird der Voralarm mit der SPS der Anlage verbunden, kann die Anlage bei Auslösung des Voralarms in einen sicheren Zustand (Notstopp) gebracht werden. Der Hauptalarm kann an einen Lastrennschalter mit Not-Aus-Kontakt angeschlossen werden und trennt bei Auslösung des Hauptalarms die Stromzufuhr. Zwischen Vor- und Hauptalarm kann eine Verzögerung programmiert werden, so dass der Anlage genügend Zeit bleibt, um die Antriebsachsen in einen sicheren Zustand zu bringen. Somit werden die normativen Anforderungen erfüllt. Gleichzeitig erhöht sich die Anlagenverfügbarkeit merklich und unerwünschte Betriebsunterbrüche werden auf ein Minimum reduziert.

FFT
Abbildung 5: FFT-Analyse der CNC-Anlage ohne ableitstromreduzierende Massnahmen.
Quelle: Demelectric
FF
Abbildung 6: FFT Analyse der CNC-Anlage mit ableitstromreduzierenden Massnahmen.
Quelle: Demelectric

Resultat

Die Abbildung 6 zeigt die Wirkung des kombinierten EMV- und Ableitstromreduktionsfilters. Dieser wurde in Serie zwischen Frequenzumrichter und Schutzschalter eingebaut. Die Auslastung des Schutzschalters konnte von über 60 Prozent auf unter 10 Prozent gesenkt werden. Mit dieser Massnahme kann die CNC-Anlage sicher am empfohlenen Schutzschalter Doepke Typ B NK betrieben werden, unerwünschte Auslösungen auf Grund zu hoher, betriebsbedingter Ableitströme sind sehr unwahrscheinlich.

Fazit

Da Fehlerstrom-Schutzschalter nicht zwischen betriebsbedingten Ableitströmen und Fehlerströmen unterscheiden können, kommt es bei zu hohen Ableitströmen zu unerwünschten Auslösungen. Es ist zwar möglich, mit einer handelsüblichen Stromzange die Ableitstrombelastung zu messen. Jedoch fehlt es an einer brauchbaren Aussage über einzelne Frequenz­anteile dieser Belastung. Insbesondere fehlt die Beurteilungsmöglichkeit in Bezug auf die Auslösekennlinie des verwendeten Schutzschalters (Bild 4). Als Lösung für dieses Problem wurde eigens ein Analysesystem entwickelt. Dieses ist speziell auf die Messung und Analyse von Ableitströmen ausgelegt. Das Analysesystem wertet den Auslastungsgrad der ausgewählten Schutzeinrichtung aus und gibt diesen mit einem Prozentwert an. Es ermöglicht zudem eine Breitband-Frequenzanalyse sowie die Betrachtung der Effektivwerte einzelner Frequenzanteile. Somit stellt es eine wertvolle Hilfestellung bei der Ableitstrombilanzierung und der Auswahl geeigneter Reduktionsmassnahmen dar.

demelectric.ch